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 Betreff des Beitrags: Der Kelch des Südens
BeitragVerfasst: Do 24. Sep 2020, 19:40 
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Registriert: Mi 8. Aug 2012, 08:38
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Knochen brachen und mit einem entsetzlichen Aufschrei ging der Skarge zu Boden. Der Schlag, welchen er gegen die Neches´Re führen wollte, gelang ihm nicht mehr. Sie hatte ihn mit der Streitaxt direkt auf die Brust getroffen und die dünne Lederrüstung hatte der Macht des Schlages und der Waffe nichts entgegen zu setzen. Gjesken befreite die Axt aus der Brust des Mannes. Ihr Atem ging schwer und ihre Haare klebten an ihrem Kopf, getränkt mit Blut und Wasser. Ein rotes Rinnsal lief ihren Oberarm hinunter und sie stützte sich auf ihre Streitaxt. Ein weiterer Hornstoß erschallte und in der Ferne zuckten Blitze über den wolkenverhangenen Himmel.


Es war ein bewölkter Morgen, Nebelschwaden lagen über dem Meer. vieles deutete auf einen unangenehmen Tag hin, zumindest wenn man das Wetter betrachtete. Das kleine Fischerdorf erwachte langsam zum Leben. Hier lebten Nordleute, die auf den Ruf Gjeskens hin nach Mythodea und nach Assansol gekommen waren, um ein neues Leben anzufangen, doch fehlte ihnen das Meer. So zogen sie eines Tages nach Nordosten und gründeten ein kleines Dorf an der Küste. Wie durch ein Wunder hatten die plündernden Skargen während ihrer ersten Raubzüge das Dorf nicht entdeckt. Doch als Mitraspera erschüttert wurde, der Kontinent bebte, Sturmfluten die Küsten verheerten und Hagel, Hitze und vieles mehr an Katastrophen über das Land zogen, blieb auch dieses kleine und bisher so friedliche Dorf nicht verschont. Der Anlegesteg sowie alle Fischerboote wurden während des letzten Sturms zerstört. Als wäre dies alles noch nicht genug, wurden mehrere tote Wale an der Küste angespült. Die riesigen Meerestiere hatten seltsame Verletzungen und waren teils grotesk entstellt. Nachdem die Truchsess von diesen Ereignissen erfahren hatte, war sie selbst mit einer Eskorte aufgebrochen, um zu helfen. Ihr lagen diese Leute sehr am Herzen und so brachten sie Versorgung und Güter in das Dorf und begannen mit dem Wiederaufbau des Stegs.

Einige Tage waren bereits seit ihrer Ankunft vergangen. Ein Teil der Männer wurde zurück nach Assansol geschickt, da sie einige der Dörfler, die nicht mehr hier leben wollten, zurück nach Assansol eskortierten. Gjesken beschloss, noch einige Tage zu bleiben, bevor sie nachkommen würde. Die Kriegerin beobachtete das Treiben im Dorf und wie es langsam erwachte. Eine Assansoler Soldatin brachte der Neches´Re einen dampfenden Krug. „Hier, für dich.“ Gjesken nahm es dankend entgegen und trank einen Schluck. „Es wird Zeit.“, sprach die Schildmaid zu der Soldatin, die daraufhin nur nickte und Gjesken zurück in das Langhaus folgte. Sie half Gjesken dabei, ihre Plattenrüstung anzulegen und es dauerte nicht lang, dann waren die beiden fertig und die Neches`Re war gerüstet. Sie traten wieder hinaus auf den kleinen Platz und mischten sich unter die Dörfler.
In diesem Moment begann es leicht zu regnen...


Ruder glitten ins Wasser und Zug um Zug bewegte sich sein Schiff vorwärts. Der Kontinent war in Aufruhr, das Land und die Gezeiten selbst schienen aufzubegehren. Selbst für so erfahrene Seefahrer wie sie es waren wurde es stellenweise gefährlich, wenn der Sturm sie auf See erfasste. Doch heute war es ruhig, schwere Wolken hingen am Himmel, die von Regen kündigten, doch das sollte sie nicht kümmern. Ganz im Gegenteil. Heute würden sie Beute machen, dessen war er sich sicher. Sie folgten der Küstenlinie und die Nebelschwaden verschleierten ihren Aufenthalt. Der Segelherr straffte sich und entdeckte eine Lücke in der Küstenlinie. „Da scheint ein Durchgang zu sein...interessant.“, sagte er mehr zu sich selbst. Der Hüne trat vom Bug zurück und Schritt zum Heck zu seinem Steuermann. „Steuerbord...siehst du da die Lücke?“ Der Steuermann nickte. „Halte darauf zu...Flutgeborene, rudert langsamer! Mir scheint, wir haben hier eine bislang unentdeckte Bucht entdeckt...seid bereit!“ Die Männer und Frauen taten, wie ihnen geheißen. Dass es leicht zu regnen begann, störte niemanden der Skargen, immerhin waren sie schlimmeres Wetter und Umstände gewöhnt als ein paar Tropfen Wasser, welche vom Himmel fielen.


„Ihre Heiligkeit erwartet euch bereits, ehrenwerter Thul´Heen“, sprach der Diener förmlich und öffnete dem Ritter die Tür. Shanna saß bereits an einem gut gedeckten Tisch, auf welchem sich allerlei Speisen auf verschiedensten Tellern stapelten. „Guten Morgen, Shanna! Ich muss gestehen, das ist eine ausgezeichnete und fabelhafte Idee mit diesem Frühstück.“, sagte Alexij und schritt zum Tisch. Die Angesprochene hob die dunklen Locken, die zu einem unsauberen Knoten zusammengefasst waren, und schenkte ihrem Freund ein offenes Lächeln. In diesem seltenen Moment der vertrauten Zweisamkeit ruhte keine Krone auf ihrem Haupt und für einen zerbrechlichen Augenblick lang würden dort nicht Nyame und Thul’Heen zusammen ein viel zu großes Frühstück genießen, sondern nur zwei alte Freunde, die schon so Einiges miteinander erlebt hatten.
Als ihr Gegenüber sich ebenfalls auf einem der Stühle niederließ, richtete die Zuckerbäckerin mit einem abwesenden Lächeln auf den Lippen ihren Blick auf das Fenster, an dessen Scheibe sich bereits die ersten Tropfen sammelten. „Sieh mal, Alexij, es fängt an zu regnen…“


„Segelherr...seht!“, sprach einer der Krieger und deutete über den Bug des Schiffes, „Ein Dorf!“
„Die Götter sind uns wohlgesonnen...Beute winkt...Flutgeborene, bereit machen zum Anlanden....Rudert los!“

„Steigt mit der Flut, färbt sie rot voll des Bluts.
Rudert das Boot, auf dem tödlichen Grund.“

Hörner erschallten und die Skargen konnten bereits sehen, wie die Dorfbewohner panisch wurden und die Flucht ergriffen. Nur noch wenige Ruderschläge und sie würden an der Küste anlanden...

Gjesken war gerade im Gespräch mit einer älteren Frau im Dorf, als sie innehielt. Sie entschuldigte sich kurz und trat auf die Straße, so dass sie aufs Meer sehen konnte. Irgendetwas stimmte nicht. „Alles in Ordn...“
Gjesken deutete mit einer raschen Handbewegung, dass sie schweigen sollte.
„WIR SIND DIE FLUT...“, hörte sie leise und ihre Augen weiteten sich, während sie innerlich einen Fluch ausstieß.
„Mach die Männer bereit!“
„Herrin was ist denn...“
„Sofort!“, befahl Gjesken und genau in diesem Moment erklangen Hörner vom Meer aus. Die Soldatin nickte nur und rannte sofort los. Die Dörfler, die am Wasser waren, sahen das Boot zuerst und schlagartig brach Panik aus. Sie hatten die Geschichten gehört…sie kamen aus dem Nebel, wild, blutig und ohne Gnade. Und nun würde der Zorn der Skargen auch sie treffen. Die Dörfler verteilten sich wie aufgescheuchte Hühner in alle Richtungen, verängstigt und kopflos.
„Lauft! Bringt euch in Sicherheit!“, schrien die unterschiedlichsten Leute.
Gjesken stellte recht schnell fest, dass es nur ein feindliches Schiff war. Ein einziges Schiff...damit könnten sie fertig werden. Nein, damit mussten sie fertig werden.
Gudrun hatte erst vor zwei Tagen ihre Zwillinge bekommen und die Kinder schliefen noch seelig in ihrem Bettchen. Gjesken ließ ihren Blick auf ihre Axt und den Stern darauf sinken. Alexij würde in dieser Situation sicher taktisch zum Rückzug raten, um möglichst viele der Unschuldigen in Sicherheit bringen zu können und würde dann selbst bleiben, um zu kämpfen. Aber sie könnte Shanna nicht mehr unter die Augen treten, wenn sie ihr erklären müsste, dass sie diese Kinder zum Sterben zurückgelassen hatte. Und vor allem würde sie es sich selbst niemals verzeihen können. Mit grimmiger Entschlossenheit umfasste sie die Axt fester und schritt hinunter zum Strand. Auf ihrem Weg kamen ihr vereinzelte Dörfler entgegen, welche die blanke Panik ins Gesicht geschrieben stand. Als Gjeseken an ihnen vorbeischritt, sahen sie diese irritiert an und hielten in ihrer Flucht inne. Die Blicke folgten der Kriegerin, bis die Neches´Re auf einer größeren Fläche stehen blieb und zu dem näherkommenden Schiff sah. Sie stellte die Axt auf dem Boden ab und stand einfach nur da. Durch die Menge der Dorfbewohner, die ebenfalls stehen gebleiben waren, ging ein Raunen…was hatte sie nur vor? Das halbe Dutzend Soldaten, das noch hier war, schloss zu Gjesken auf. Die Siedler tauschten nervöse Blicke aus, doch zu der nackten Furcht gesellte sich rasch eine immer schneller wachsende Entschlossenheit. Die Neches´Re würde kämpfen wollen. Wer waren sie, dass sie den Kelch des Landes zurücklassen würden? Sie waren Nordleute und Gjesken eine von ihnen, ihre Jarl. Einige der Dorfbewohner schnappten sich Äxte, Hämmer und Mistgabeln. Sollten sie doch kommen. So leicht würden sie nicht aufgeben...


„Die laufen ja alle weg...“, stellte einer der Skargen mit einem spöttischen Lachen fest. „Nein, nicht alle...seht!“ Eine Schildträgerin deutete auf eine blaue, gerüstete Gestalt auf dem Dorfplatz. Die Flutgeborenen machten sich weiter über sie lustig. Wahnsinnige. Die Erste von vielen, die heute blutend auf dem Boden enden würde. Der Segelherr jedoch wirkte nachdenklich. Sie mussten die Geschichten doch kennen, immerhin hatten die Skargen sich einen gewissen Ruf aufgebaut. Fast jeder Siedler wusste, was passieren würde und dennoch stellte sich eine Kriegerin zum Kampf. Entweder war sie irre oder unglaublich tapfer. Weitere Soldaten schlossen sich ihr an und auch die Dorfbewohner schienen von ihrer Flucht abgekommen zu sein. Die Panik flaute ab und etwas anderes geschah - sie fassten Mut. Wer bei den Göttern war diese Frau?! Den Angriff abzubrechen, dafür war es zu spät, sie hatten nun keine Wahl mehr. Das Boot landete mit einem letzten Schwung an der Küste an. Der Segelherr ließ sich nach außen nichts anmerken, straffte lediglich die Schultern. Er hoffte nur, dass dies kein Fehler oder noch schlimmer eine Falle war. Tote Flutgeborene sind eine Sache, aber sie durften das Boot nicht verlieren.
„ZUM ANGRIFF!“, brüllte er und die Flutgeborenen stürmten den Strand und das Dorf.

Die Skargen stürmten einer ungebremsten Flutwelle gleich den Strand und das Dorf und nur wenige Sekunden fielen die ersten fliehenden Dörfler ihren Äxten zum Opfer. Der erste Flutgeborene jedoch, welcher auf den Platz stürmte, wurde ohne lange Umschweife von der Neches´Re gefällt. Die Soldaten schlossen sofort zu ihr auf und das Gefecht entbrannte. Stahl traf auf Stahl, auf Holz und auf Fleisch. Schlachtenlärm lag nun in der Luft und erfüllte das Dorf, welches noch vor wenigen Stunden so friedlich in den neuen Tag gestartet war. Die Linie aus Soldaten mit der Unterstützung der Dorfbewohner konnte dem Ansturm der Skargen trotzen und sie hielten stand. Ein Skarge nach dem anderen fiel oder wurde schwer verletzt.
Als sie merkten, dass sie so nichts erreichen konnten und dass ihr Plan, die Verteidiger einfach zu überrumpeln, nicht aufging, mussten sie etwas tun. So änderten die Skargen ihr Vorgehen und teilten sich auf. Sie schwirrten nun im ganzen Dorf herum, so dass es nicht mehr nur ausreichte, den Dorfplatz zu verteidigen. Das Gefecht verschob sich hin zu Einzelkämpfen, in denen die Dörfler hoffnungslos unterlegen waren. Selbst mit vor Mut flammenden Herzen waren es doch nur Spitzhacken und Mistgabeln in ihren Händen. Die ersten Soldaten fielen ebenfalls und die Unbewaffneten wurden nach und nach ohne jegliche Gnade vor den Augen der noch Kämpfenden massakriert.


Mit einem Ächzen ließ sich die Herrscherin gegen die Lehne des Stuhles sinken und legte sich spielerisch die Hände auf ihren Bauch. „Ich bekomme nichts mehr hinunter…“
Skeptisch richtete der Ritter seinen Blick auf den Teller, welcher noch fast unberührt vor ihr stand, schwieg jedoch. Er selbst hatte auch kaum etwas von den zahlreichen Leckerein angerührt.
„Tja, ich glaube, unser Spaziergang über den Marktplatz fällt wohl buchstäblich Wasser“, sprach Shanna etwas betrübt, als die Tropfen immer lauter und schneller gegen die bereits nassen Scheiben trommelten.


Der Regen hatte zugenommen und das Dorf war fast vollständig überrannt. Ein letztes kleines Bollwerk bildete sich vor Gudruns Haus. Ihr Mann war Jäger und verschoss verzweifelt einen Pfeil nach dem anderen, während Gjesken jeden Skargen fällte, der dem Haus auch nur zu nahe kam. Kurz zuvor hatte ein Schwerthieb sie am Oberarm getroffen, als sie sich gerade zurückziehen wollte. Es war so ein unglücklicher Treffer gewesen, dass die Schulterplatte nicht den gesamten Schlag hatte abfangen können und die Klinge sich ungünstig in ihren Oberarm gefressen hatte. Doch sie biss die Zähne zusammen und kämpfte weiter. Nun war keine Zeit für Schwäche. Vor ihren Füßen lagen bereits drei erschlagene Skargen welche bereits begannen sich langsam in Nebel aufzulösen, doch immer und immer wieder kamen weitere. Ein weiterer Pfeil schlug in einen Skargenschild ein und langsam trauten sich diese nicht mehr näher an die entschlossene Kriegerin heran. Trotzdem wurden es mehr und mehr. Sie formten einen Kreis vor dem Haus, so dass es kein Entkommen mehr für die Neches´Re, Halbjorn, Gudrun und die Kinder mehr gab. Der einzige Weg aus dieser Falle wäre durch die Skargen. Das Geschrei im Dorf ebbet ab, was leider jedoch nicht Gutes zu bedeuten hatte. Das Morden und Kämpfen war vorüber. Es war niemand mehr übrig, der um sein Leben schreien konnte. Sie waren also die letzten Überlebenden. Gjesken nickte mehr zu sich selbst und umschloss die Axt kräftiger.
„Es war mir eine Ehre...“ Halbjorn verzichtete bewusst auf Titel, um sie nicht zu verraten „Du warst für uns alle ein Vorbild, eine Inspiration und in der Ewigkeit wird man sich deiner Taten erinnern...“ Seine Stimme zitterte vor Anspannung und gerade in dem Augenblick, als er sich wieder den feindlichen Reihen zuwandte, bohrte sich ein Speer direkt in seine Brust. Einer der Skargen hatte ihn geschleudert und Gjesken nur um ein Haar verfehlt. Halbjorn war noch nicht einmal ganz zu Boden gesunken, da stürmte dessen Mörder direkt auf die Neches´Re zu. Diese wich seinem Schlag geschickt aus und schwang ihre Axt. Knochen brachen und mit einem entsezlichen Aufschrei ging der Skarge zu Boden. Der Schlag, welchen er gegen die Neches´Re führen wollte, gelang ihm nicht mehr. Sie hatte ihn mit der Streitaxt direkt auf die Brust getroffen und die dünne Lederrüstung hatte der Macht des Schlages und der Waffe nichts entgegen zu setzen.
Gjesken befreite die Axt aus der Brust des Mannes. Ihr Atem ging schwer und ihre Haare klebten an ihrem Kopf, getränkt mit Blut und Wasser. Ein rotes Rinnsal lief ihren Oberarm hinunter und sie stützte sich auf ihre Streitaxt. Ein weiterer Hornstoß erschallte und in der Ferne zuckten Blitze über den wolkenverhangenen Himmel.
Die Reihe der wilden Seeleute teilte sich und ein prächtiger Skarge trat vor das Haus. Er war besser gerüstet und bewaffnet als die anderen seiner Sippe und wirkte deutlich entschlossener. Dies musste also der Anführer sein.
„Ihr habt gar trefflich gefochten...oder wie ihr das ausdrückt. Ergebt euch und vielleicht gewähre ich euch dafür einen schnellen Tod.“
Gjesken spuckte verächtlich aus.
„Dem kann ich nicht nachkommen.“
„Zu schade und bedauerlich. Auch wenn ich damit gerechnet habe... Nun, Flutgeborene, beweist euch Erweist dieser Kriegerin die Ehre. Wer sie schlägt, dem winkt reiche Beute und Ehre an der Tafel der Götter.“
Eine Skargin verließ den Kreis und trat auf Gjesken zu, ein herausforderndes Grinsen auf den Lippen. Schläge wurden gewechselt, Treffer wurden gelandet und die Neches´Re war erneut siegreich. Doch mit jedem weiteren Kampf schwanden ihre Kräfte, nahm ihre Rüstung mehr Schaden und sie wurde langsamer. Nachdem ein gutes Dutzend Skargen zu ihren Füßen lagen, fiel sie selbst auf die Knie.
Der Segelherr befahl seinen Männern und Frauen zu warten und sprach mit spöttischer Stimme.
„Ihr habt wacker gekämpft dennoch dachte ich, ihr würdet etwas mehr aushalten. Aber da habe ich mich wohl getäuscht!“
Die Neches´Re hörte nicht mehr, was dieser Wilde sagte. Ihre Gedanken waren einzig und allein bei Shanna, ihrer Nyame, an deren Seite sie nun nicht mehr sein konnte. Ob sie ihre Vertraute wohl enttäuscht hätte? Nein sicher nicht. Sie war sich sicher, Shanna hätte dasselbe getan. Gjesken wusste, was sie nun zu tun hatte, obwohl ihr allein der Gedanke daran das Herz in tausend Stücke zerriss. Aber sie musste ihre Nyame schützen, auch und vor allem jetzt noch. Dies hatte sie versprochen und geschworen. Dies war die Aufgabe als Kelch der Herrin. Sie blickte zum Himmel, durch die Wolken und weiter hinauf. Sie wusste, dass sie da waren, dort ganz oben…die Sterne. Trotz allem, was um sie herum geschah, schloss die Neches’Re ihre Augen und fokusierte sich einzig und allein auf sie und Shanna. Das, was nun vor ihr lag, musste sie alleine bewältigen und sie wusste, dass die Sterne mit ihr sein würden in diesem Moment.


Beinah wäre ein leises, ungläubiges Lachen über die Lippen der Nyame geschlüpft. Etwas, was man in den letzten Wochen so gut wie nie zu hören bekommen hatte. Doch nun saß sie hier, gemeinsam mit dem Mann, der in schon so oft in den dunkelsten Stunden beigestanden hatte, und sprach über die weiteren Pläne für ihr geliebtes Siegel. Gerade im Moment ging es um die schönen Dinge des Lebens, welche sie besonders in diesen harten Zeiten nicht völlig aus den Augen verlieren durften. Egal, wie schwer es einem auch fallen mochte. Bevor sie jedoch auf den Vorschlag ihres Gegenüber eingehen konnte, hielt Shanna mit einem Mal inne.
Zuerst waren es nur feine Falten, welche sich auf ihrer Stirn bildeten, ehe sich der Ausdruck in ihren Augen schlagartig wandelte. Der zuvor noch feine, aber spürbare Hauch an Frohsinn wurde barsch hinweggefegt, um Platz für eine gänzlich andere Emotion zu schaffen. Blankes und ungeschöntes Entsetzen.
Ein hässliches Klirren zerriss die eigentlich fast entspannte Atmosphäre der vertrauten Szenerie, als der Kelch, welchen die Nyame bis gerade eben noch in den Händen gehalten hatte, eben aus jenen glitt und auf den harten Steinboden fiel, um dort in zwei Teile zu zerbrechen.
Begleitet wurde dies durch ein kehliges Japsen, welches fast tonlos aus Shannas Mund drang, während sich diese verkrampft auf der hölzernen Tischplatte abstützte.
Ihr Gegenüber verschwendete nicht eine einzige Sekunde und sprang sofort auf. Alexij hatte keine Ahnung, was vor sich ging, doch irgendetwas schien ganz und gar nicht in Ordnung zu sein. Ein erster Gedanke wurde daran verschwendet, man hätte Shanna vergiftet, doch wurde dieser rasch von etwas ganz Anderem entkräftet. Er konnte es spüren, das Kribbeln…die Kraft, die in der Luft schier zu flimmern schien. Kurz sah er auf seinen linken Handrücken, welcher sich anfühlte, als wären seinen Finger eingeschlafen und gerade erst wieder aufgewacht, überzogen von tausenden von Ameisenbeinen.
„Für Mitraspera, Gjesken...“
Es war nur ein Flüstern, kaum hörbar, und doch dröhnte es fast unmenschlich laut in der angespannten Atmosphäre des kleinen Raumes. Als die letzte Silbe noch nicht ganz verklungen war, löste sich eine einzelne Träne aus den noch immer mit Entsetzen gefüllten Augen, ehe deren Trägerin sich kurz aufbäumte, einen stummen, erstickten Schrei auf den Lippen, um dann kraftlos in sich zusammenzusinken.
Der Schrei des Thul’Heens drang schon nur noch dumpf an ihre Ohren.
„WACHEN!!!“


„FÜR MITRASPERA!“ Eine Welle der Kraft schien durch ihren gebeutelten Körper zu strömen und als hätten die Sterne selbst ihr diese Worte auf die Lippen gelegt, stemmte sich Gjesken wieder in die Höhe.
Sie schien nicht zu merken, dass Tränen ihre blutverschmierten Wangen benetzten, aber dies tat nun auch nichts mehr zur Sache.
Die Sterne waren wahrlich mit ihr und mit neuer Kraft warf sie sich ihren Feinden entgegen. Der Segelherr und alle Skargen waren von dem Angriff so überrascht, dass sie es zu spät bemerkten und erst reagieren konnten, nachdem der nächste Flutgeborene erschlagen zu Boden sank. Gjesken parierte einen Hieb nach dem anderen und schlug um sich, so dass die Skargen alle Mühe hatten, ihr beizukommen. Die Kriegerin schien fast von unnatürlicher Macht beseelt und gestärkt zu sein. „Jetzt reicht es! Bringt sie zu Fall, na los!“, rief der Segelherr deutlich ungehalten zu seinen Untergebenen.
Der nächste Treffer glitt zwar an ihr ab, schaffte es aber dennoch, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Ein Pfeil durchbohrte schlagartig die Rüstung und drang tief in ihre Brust ein. Obwohl ihr dies beinahe alle Luft aus den Lungen drückte, wurde ein weiterer Feind mit einem Rückhandschlag erschlagen. Die Flutgeborenen wichen zurück, verweigerten fast regelrecht den Kampf gegen diese Wahnsinnige. Der Hüne hatte endgültig genug und schritt nun selbst zur Tat, Gjesken war aus dem Gleichgewicht, müde und verletzt. Sie hatte alle Mühe, die Schläge des Segelherren abzuwehren. Sie traf ihn heftig an der Schulter, doch seine dicke Rüstung fing den Hieb mühelos ab. Er packte Gjesken und endlich gelang es ich, ihr die Waffe aus der Hand zu reißen. Mit der freien Hand schlug er ihr kräftig ins Gesicht und trat in ihre Kniekehle, so dass die Neches’Re mit einem Stöhnen auf die Knie sank. Siegessicher stellte er sich hinter sie, griff in ihre Haare und riss ihren Kopf nach oben, so dass ihr Hals entblößt wurde.
„Ganz gleich, wie sehr du dich auch bemüht hast. Du hast versagt.“
Seine Worte tropften nur so von Hohn und Spott und so merkte er erst einmal nicht, dass einer seiner Leute auf ihn zutrat.
„Das Haus ist leer, mein Segelherr...“
„Habe ich nicht...“, antwortete Gjesken erschöpft, aber klar und deutlich. Wie auch immer es Gudrun gelungen war, sie konnte fliehen... zusammen mit ihren Kindern.
Das letzte was Gjesken hörte und spürte, war das Singen eines Saxes, wie es aus der Scheide fuhr und dann an ihre Kehle gelegt wurde. Sie hatte keine Angst vor dem was kommen würde. Ihr Leben war gut, sie hatte viel erreicht in dieser neuen Welt und nun würde sie wieder mit ihnen vereint sein. Ein letzter Gedanke legte ihr ein dünnes Lächeln auf die zitternden Lippen. Dann wurde es dunkel...


Alexij hielt seine Nyame im Arm, damit diese nicht auch noch gänzlich vom Stuhl fallen würde.
Tausende Gedanken rasten durch seinen Kopf, aber er hatte keine Ahnung, was los war. Nur eines war ganz sicher - irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.
„STEHT DA NICHT SO RUM WIE DIE PHOBOSAAR!“, schrie er die Wachen an.
„Holt mir sofort einen Heiler und Magier - und zwar schnell! LOS!“
Die Soldaten, welche bei dem ersten Rufen des Ritters schon hastig durch die Tür gestolpert waren, waren sichtlich geschockt von dem, was sich ihnen hier bot. Als jedoch der Thul’Heen erneut mehr als deutlich das Wort an sie richtete, nickten diese nur und stürmten sogleich los, als wäre das Nichts selbst hinter ihnen her.


Sie rannte, so schnell sie nur konnte. Gudrun war es gelungen, sich aus dem Haus zu schleichen. Behutsam presste sie ihre schreienden Zwillinge an ihre Brust und rannte. Nach einigen Metern sprang eine weitere Dorfbewohnerin aus ihrer Deckung an ihre Seite, doch Gudrun blieb nicht einen Augenblick stehen. So schnell sie ihre Füße tragen konnten liefen die beiden Frauen so lange, bis sie sich weit genug weg wähnten. Erst jetzt, in hoffentlich sicherer Entfernung, wagten sie es, innezuhalten und sich umzublicken. Im Schutz einer Baumreihe hatten sie einen passablen Überblick über das Dorf und konnten den Kreis der Skargen und Gjesken erkennen, wie sie vor dem Haus und im Zentrum des Kreises kniete. Egal, wie sehr sie sich es auch gewünscht hätten, sie konnten den Blick nicht abwenden. Zwei weitere Dörfler stießen zu ihnen und sahen zu der Gruppierung hinüber.
„Sie… wird sterben...“
„Wir werden ihr Opfer und ihren Heldenmut ehren...das schwöre ich bei den Göttern und Elementen...!“ , flüsterte Gudrun und ihr lief eine Träne über die Wange, während sie die wimmernden Geschöpfe, welche nur aufgrund dieser Frau noch am Leben waren, noch etwas enger an sich drückte.
Ihren letzten Kampf konnte sie trotz aller Bemühungen nicht gewinnen. Die Skargen hatten gesiegt, das Dorf war verwüstet, ein Großteil der Einwohner tot oder verschleppt und die Neches´Re selbst mit einer Klinge am Hals unter ihnen. Für einen Moment schien die Zeit still zustehen und noch immer hingen die Blicke der Geflüchteten auf der entfernten Szenerie. Dann fiel Gjeskens Körper auf den Boden. Wie zu Salzsäulen erstarrt wagte zuerst niemand, sich zu rühren.
„Sie ist...sie haben sie...“
„LOS, wir müssen hier weg!“


Langsam nur begannen ihre Lider zu flattern und erst quälende Sekunden später entblößten diese die verwaschenen, grünen Augen der Nyame. Diese schien sich erst einmal darüber klar werden zu müssen, wo sie sich überhaupt befand. Als jedoch ihr Blick sich auf das besorgte Antlitz des Thul’Heen festigte, welcher sie noch immer im Arm hielt, verblasste die Verwirrung. Und machte Platz für etwas anderes.

Der gequälte Schrei, welcher daraufhin durch die stets belebten Gänge des Palastes in Pallas Kronion hallte, konnte wohl selbst im fernen Dorf an der Küste noch gehört werden.

_________________
Shanna aus Lichtensee - Nyame des Südlichen Siegels
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